„Das Erdbeben von Chili“
von Heinrich von Kleist
Von ihren Mitbürgern getrennt und durch eine Naturkatastrophe wieder vereint – genau so ergeht es den beiden Protagonisten in der Erzählung „Das Erdbeben von Chili“, geschrieben von Heinrich von Kleist und veröffentlicht im Jahre 1807. Die Geliebten Josephe und Jeronimo entkommen zwar im Laufe der Erzählungen ihren Schicksalen und es scheint alles gut zu werden, doch genau dann nimmt die Erzählung eine verheerende Wendung…
Jeronimo Rugera ist angeklagt und steht bereits kurz davor, sich zu erhängen, als ein beinahe alles zerstörendes Erdbeben die Hauptstadt des Königreiches Chili in Trümmern legt. Zuvor wird Josephe von ihrem Vater in einem Kloster untergebracht, da dieser die Bindung zu Jeronimo nicht gutheißen kann und zur Überraschung aller bekommt Josephe im Kloster ein Kind und soll deshalb mit Enthauptung bestraft werden.
Zwar entkommt Jeronimo dem Erdbeben und seiner Gefängnisstrafe, allerdings scheint Josephe schon tot zu sein. Der junge Mann flieht aus der Stadt und fragt währenddessen, ob die Hinrichtung seiner Geliebten schon vollzogen worden ist. Während er von den meisten seiner Mitbürger ignoriert wird, sagt ihm eine Frau, dass Josephe bereits enthauptet worden sei. Jeronimo kann dies kaum glauben und sucht überall nach Josephe, bis er sie und sein Kind, Philipp, plötzlich im „Tal von Eden“ findet. Die junge Familie kann ihr Glück kaum fassen und Josephe erzählt, dass sie kurz vor der Hinrichtung entkommen und in das Kloster gelaufen sei und ihren Sohn gerettet habe. Die beiden beschließen, sobald das Erbeben vorbei ist, nach La Conception zu reisen und dort ein neues Leben zu beginnen, als sie von einem edel gekleideten Mann namens Don Fernando um Hilfe gebeten werden, denn sein Sohn müsste gestillt werden. Jeronimo und Josephe schließen sich dem Mann und seiner Familie an und werden freundlich und willkommen behandelt, obwohl sie erst vor kurzem noch der ganzen Stadt verhasst waren. Dank der Freundlichkeit und Großzügigkeit der anderen Bürger beschließen Jeronimo und Josephe in Chili zu bleiben. Am Nachmittag wird bekannt, dass in der Dominikanerkirche eine Messe stattfinden wird und die Gruppe um Josephe und Jeronimo entscheidet sich, an der Messe teilzunehmen, doch diese, welche von Meister Pedrillo gehalten wird, wird Jeronimo und Josephe zum Verhängnis. Meister Pedrillo beginnt über gottlose Menschen zu sprechen und erkennt Josephe und ihr Kind unter den Bürgern. Bald darauf entsteht ein Tumult in der Kirche und die Bürger gehen auf die junge Familie los. Don Fernando versucht noch, Jeronimo zu beschützen, doch sein eigener Vater verrät und erschlägt ihn. Während Don Fernando Josephes Sohn hält, opfert sie sich und lässt sich von Meister Pedrillo umbringen. Don Fernando wehrt die Meute ab, während er sein Kind und das von Josephe und Jeronimo im Arm hält. Doch Meister Pedrillo greift nach einem der beiden Kinder und wirft es gegen einen Eckpfeiler der Kirche. Anders als erwartet, ist es aber nicht das Kind von Josephe, sondern der Sohn von Don Fernando, welcher stirbt. Am Ende der Erzählung nehmen Don Fernando und seine Frau das Kind von Jeronimo und Josephe auf und ziehen es groß.
Zuerst kann man sagen, dass die Erzählung dank Kleist spannender wird als sie vermutlich sonst wäre. Kleist lässt den Leser in der Mitte der Erzählung verschnaufen und denken, dass alles gut werden kann, nur um dann das „Happy End“ völlig zu zerstören. Während die Figuren eine Zeit lang im Tal von Eden verweilen und sie von ihren Mitbürgern wieder akzeptiert werden, schafft Kleist das Bild von Vergebung und Wohltaten. Jeronimo hat seine kleine Familie wieder gefunden und verharrt nun in dem Tal, wo er von Fremden Unterstützung und Hilfe bekommt. Als die Gruppe dann in die Messe geht, schlägt die Stimmung in der Erzählung um. Das Tal von Eden gerät langsam in den Hintergrund und in Vergessenheit des Lesers, als Meister Pedrillo von gottlosen Menschen und „Sittenverderbnis“ spricht. Langsam offenbart sich dem Leser, dass Jeronimo und Josephe eventuell doch nicht die Vergebung erhalten, die sich die beiden wünschen. Es passiert sogar das Gegenteil und beide Protagonisten kommen um. Man fiebert mit, was mit den Protagonisten geschieht und freut sich sogar, dass sie sich wiederfinden. Man hofft als Leser regelrecht, dass sie und ihr Sohn Philipp aus der Situation entkommen und ein Leben außerhalb von Chili führen können. Die Szene in der Kirche ist am Ende so spannend, dass der Leser es Kleist verzeiht, wie die Erzählung ausgeht. Des Weiteren überlebt Philipp sogar und wird von Don Fernando und seiner Frau großgezogen. Der Leser kann so über den Tod der Protagonisten hinwegsehen.
Mir hat gut gefallen, wie die einzelnen Abschnitte der Geschichte erzählt werden und wie sie geschrieben wurden. So bemerkt man als Leser die Verzweiflung Jeronimos, als er gesagt bekommt, dass Josephe schon umgebracht wurde und man freut sich auch für ihn, als er das Gegenteil herausfindet. Man kann das Glück und die Zuneigung des jungen Paares spüren und muss nicht selbst darauf kommen, was die Figuren fühlen. Dies trifft auch auf die Handlung in der Dominikanerkirche zu. Man fühlt mit und hofft, dass wenigsten Josephe und ihr Sohn überleben werden. Als sich die junge Mutter dann aber für ihren Sohn opfert und sich töten lässt, kann man die Entscheidung nachvollziehen, da man vorher genau mitbekommt, wie liebevoll sie mit ihrem Sohn umgeht.
Kleist vermittelt die Skrupellosigkeit und die Gnadenlosigkeit des Priesters sehr gut. Kleist scheut sich nicht, einen unschuldigen kleinen Jungen umbringen zu lassen und den Priester als Täter darzustellen. Durch die Gnadenlosigkeit der Obrigkeiten kommt es erst zu dem ganzen Aufruhr in der Kirche und zum Tod der Geliebten.
Allerdings ist dies auch der Punkt, der mir nicht so gut gefallen hat an der Erzählung. Die Geschehnisse in der Kirche sind brutal und werden dazu noch recht detailliert beschrieben. Die Tode der Protagonisten sind zwar nur kurz dargestellt, aber die komplette Handlung in der Kirche ist relativ lang. Der Tumult kann nicht lange angedauert haben, aber Kleist nimmt sich Zeit und erzählt das Geschehene auf vier Seiten. Dazu kommt noch, wie in der Novelle mit Kindern umgegangen wird. Während am Anfang der Geschichte der Sohn von Josephe im Kloster aufwachsen soll und er nach dem Erdbeben von seinen liebenden Eltern gepflegt wird, wird am Ende der Novelle ein unschuldiges Kind an einem Kirchenpfeiler zerschlagen. Sicherlich trägt dies zu der beklemmenden, verstörenden Stimmung am Ende der Erzählung bei, aber Kleist hätte den Tod des Kindes weniger grausam beschreiben können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Das Erdbeben in Chili“ eine gute Erzählung ist, die man zwischendurch lesen kann. Durch die geringe Seitenanzahl ist das Lesen auch schnell getan, was die Novelle perfekt für eine Schullektüre macht. Da die Erzählung so kurz ist, weiß man nicht, wie es ausgeht bis zum letzten Satz, was den Text wirklich spannend macht und den Leser mitreißt. Bemängeln muss man aber, dass man absolut nicht auf das Ende der Geschichte vorbereitet wird und man leicht schockiert ist, wenn man es liest. Dies trägt aber auch noch zur Spannung bei und macht die Erzählung letztlich undurchschaubar und lesenswert.
Julia U., Deutsch-LK, Jahrgangsstufe12
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